„Die Stöcke anders herum, mit dem Griff nach unten!“ erklärt Mammoth unser Guide. Ich verstehe überhaupt nichts. Ich will meine Skier in die Halterung schieben, doch sie passen nicht hinein. Zu breit. Erneut: „Du musst die Stöcke mit dem Griff zuerst in die Skihalterung stecken. Die Ski nimmst du mit in die Gondel!“ Ich gehorche, doch antworte unsicher: „Aber die sind doch zu lang!“ „Lass sie oben am Türspalt raus stehen!“ Mühsam zwänge ich mich in die kleine 6er Kabine. Die klapprige Türe gibt nur widerwillig den Einstieg frei. Mein dicker Lawinenrucksack verkeilt sich in der schmalen Luke, will lieber draußen bleiben. Wie war das noch mit den Latten? Fluchend lasse ich mich auf den Sitz plumpsen. Andere Skifahrer drängen hektisch nach. Ich beobachte, ob einer schon genervt die Augen verdreht und sich denkt, der kann nicht einmal Lift fahren. Wie sieht es da erst mit dem Skikönnen aus. Auch Thomas tut sich hart und stellt fest: „Das ist ja wie in einem Hubschrauber.“ „Dann passt´ s doch“, antwortet Andi knapp. Für eine handvoll Skigebiete in Indien, hat der Staat nicht extra eine Bergbahn angefertigt. Also orderten sie die Poma Gondeln aus Frankreich, weiß Stefan. Aus jedem dieser schwebenden Dixi Klo´s gucken nun die Skispitzen raus. Das erinnert mich an meine ersten Winterurlaube mit dem VW- Käfer. Da wurden die Sportgeräte an der Heckklappe befestigt und spitzten oben übers Dach.
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Flott geht es nach oben. Vorbei an Nadelbäumen einer Mischung aus Fichte und Zypresse. An der Mittelstation auf gut 3000 Meter plärrt ein knallgelbes Schild: Alpine Gefahren, Felsen, Wettersturz, Lawinen! Nur für Experten! Aufgeregt drängen wir ins Freie. Dass hier für heute Schluss sein soll, können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Der Mt. Apharwat. Endlich sehen wir ihn. Nur spärlich gab das Internet Informationen und Bilder über das Kaschmirsche Skigebiet frei. Immerhin erfuhren wir, dass der Berg 4300 Meter hoch ist und die Bahn den Fahrgast bis auf 4000 Meter bugsiert. Ferner wurde betont, dass es sich um die höchste Seilbahn der Welt handelt.
In der Mitte des drei Kilometer breiten, kastenförmigen Massives, schwingen sich Stahlseile nach oben. Die Gondeln glänzen wie Perlen im Gegenlicht, bewegen sich jedoch keinen Millimeter. Mammoth erklärt: „Rechts der Bahn befinden sich zwei Rinnen, Gondola Bowl, genannt. Diese werden von der Skipatrol kontrolliert. Der Rest ist Backcountry“. Unpräpariert überlässt die Natur dem Skifahrer ihre Schätze. Keine Pistenbullys, Kunstschneelanzen oder Wegweiser. Die Landschaft ähnelt durchaus unseren Kitzbüheler Alpen. Wären da nicht die Pfefferbäume. Wie verirrte Obstplantagen, wagen sich einige Grüppchen des Laubgehölzes weit ins alpine Reich.
In Zickzack kreuzen ein paar Ungeduldige mit Fellen an den Skiern bergauf. Noch bemitleiden wir sie. Wenn die Bahn startet, überholen wir sie und schnappen ihnen den jungfräulichen Hang vor der Nase weg. Wobei es diesbezüglich eh keine Probleme gibt. Zwar wartet mit uns der ganze Ski- und Snowboardende Ort auf das erlösende Okay, aber wie viele sind das eigentlich? Ein mickriger Haufen von etwa 60 Personen! Da bleibt für jeden etwas übrig. Ich mustere meine Umstehenden. Ein bunt gemischter Haufen aus aller Welt. Zuhause entschied ich mich extra für nicht ganz so breite Latten. Immerhin eine 100mm Taillierung. Das müsste reichen. Dachte ich. Jetzt fühle ich mich minderbemittelt. Fast jeder hat 120 und mehr unter den Latschen. Auch unser Guide, in alten Ausgebleichten Skiklamotten gewandet, besitzt die stärkste Tiefschneewaffe eines amerikanischen Skiherstellers, welcher einen nahe gelegenen Achttausender mit seinem Namen ehrt. Es herrscht Partylaune.
Einheimische Verkäufer bieten Schokoriegel aus dem Bauchladen an. Unser Guide organisiert Tee und hie und da schwappt Marihuanaqualm zu uns herüber. Typische Wintersportler mit rotem Skilehrer Outfit und Slalomcarvern sucht man hier vergeblich. Im Kontrast: indische Touristen, die mit Uraltbrettern auf einem unmerklichen Gefälle erste Rutscher üben. Hie und da Rumsen von Lawinensprengungen, welches mit einem „jetzt geht´s gleich los“, kommentiert wird. Stattdessen aber: „Für heute keine Auffahrt zum Gipfel. Oben ist Sturm und Lawinengefahr. Daher fahren die Gondeln heute nicht.“ Ein Oberaudorfer flippt aus: „Bei uns gäbe es so etwas nicht. Da wartet man den ganzen Tag für die Katz!“ Wir können ihn verstehen. Aber das ist Kaschmir. Sehen wir es mal so: Bei uns würde man zwar Skifahren. Aber offiziell nur auf präparierten Pisten. Abseits ist Grauzone oder generell verboten. Und in Gulmarg? Dort gelten Skitourenregeln. Geduld hat Vorteile: der Schnee kann sich setzen, lässt sich besser befahren. In unseren Gefilden hat doch keine Flocke Chancen sich auszuruhen. Schon wird sie von massenhaften Skifahrern, oder noch schlimmer, Pistenbullys platt gewalzt. Mit diesem Trost fahren wir ab nach Gulmarg. Dort sitzen wir gemütlich auf unserer Hotelterrasse und freuen uns an den Affen, wie sie in den Bäumen herumturnen. Ab und zu streiten sie mit lautem Gekreisch. Tja. Es gibt nicht nur bei den Menschen Unstimmigkeiten. Wenngleich es bei den Primaten wohl kaum ums Skifahren geht.
Mit einbrechen der Nacht erreicht uns die vorhergesagte Schlechtwetterfront. In weißen Streifen drischt es herab. Das Schulgebäude gegenüber ist kaum mehr sichtbar. Die Schneekristalle gleichen Hagelkörnern. Der Pegel steigt in Zeitraffertempo. Die Einheimischen kommen mit schaufeln nicht mehr hinterher. Dächer werden hastig von den Massen geräumt. Was bei uns im Winter 05/06 Ausnahmefall war und in Bad Reichenhall versäumt wurde, ist hier die Regel.
Mittlerweile ist es stockdunkel. Wie durch weiße Schützengräben, stapfen und rutschen wir zu unserer Verabredung. Die Flocken sind auch zu spüren. Weit ziehen wir unsere Kapuzen schützend vor das Gesicht. Schemenhaft erkennen wir unser Ziel. Rajai´s Hütte. Bei uns hätte sie Schrebergartenpotential. Als wäre es ein Punkclub, pinselte er seinen Namen knallrot auf die dunkelgrüne Bretterwand. Im Innern erwartet uns der Bärtige schon mit einem freundlichen Grinsen. Schiebt sich seine Wollmütze vom Kopf, während seine Kinder schüchtern hinter ihm warten. Fünf hat er. In Kaschmir guter Durchschnitt. Kaum sitzen wir an dem wackligen Tisch, verteilen die Kleinen artig Teller für unser scharfes kaschmirsche Abendessen. In der Ecke plärrt ein Fernseher. Dort verprügelt ein stets grantiger Schnauzbärtiger mit Schmerbauch reihenweise Typen. Alternativ gäbe es Liebesschnulzen als Musical verpackt. Die Frauen singen dabei mit jaulenden Kinderstimmen. Selbst Kate Bush wäre genervt. Plötzlich ist es ruhig und stockdunkel. Das Wintergewittert hat Mitleid mit uns und den Strom gekappt. Unser Gastgeber ist darauf vorbereitet. Im Nu baumelt eine fauchende Gaslaterne über unseren Köpfen. Ich sehe mich in dem garagengroßen Raum um. Zwischen roten Orientteppichen hängt ein Zeitungsausschnitt des amerikanischen Powder Magazins an der Wand.
Ich entziffere: „Wir sind Kaschmirs, das friedlichste Volk auf der Welt. Wir wollen Skifahrer, keine Soldaten“. Rajai erklärt mit ruhiger Stimme die Situation des kleinen Skiortes Gulmarg: „Durch Terroranschläge und des andauernden Konfliktes mit dem nahen Pakistans, ist die Militärpräsenz in Kaschmir besonders hoch“. Dies bekamen wir vor allem am Flughafen beim Gepäckcheck zu spüren. Mehrfach wurden unsere Taschen durchleuchtet, durchsucht, geprüft. Vor allem die Gaskartuschen unserer Lawinen Rucksäcke haben es den Zöllnern angetan. Auch bei der Fahrt von Srinagar hierher: massenhaft Militärkonvois. Als gelte es eine Front aufzubauen. Hier, rund um Gulmarg und im Skigebiet, ist man relativ unbehelligt. Man will ja die westlichen Touristen nicht vergraulen. Freilich, hier und da wacht obligatorisch ein Soldat. Auf der Mittelstation haben wir uns mit einem feschen Gebirgsjäger fotografieren lassen. Kappe, weiße Tarnjacke, Tourenskier. An seiner Schulter baumelte lässig Russlands stärkster Exportartikel: eine handliche Kalaschnikow Maschinenpistole.
Beim aufbrechen fragt Andi den Wirt: „Wie viel macht es?“ Die Antwort: „Gebt mir was ihr meint.“Zwei Tage schuftet Frau Holle schon. Am nahe gelegenen „Monkeyhill“ hiken wir ein paar Höhenmetern nach oben und fahren durch lichten, lawinensicheren Hochwald ab. Hie und da springen wir von ein paar Pillowes. Kissenförmige Kugeln, wie Schneebälle von Riesen in den Wald geworfen.
Unser Guide schlägt eine Abfahrt von Gulmarg nach Babareshi vor. Dies ist der nächste tiefer gelegene Ort. Ähnlich wie am Monkeyhill geht es hübsch steil bergab. Wir erreichen zwar nicht Babareshi, dafür aber eine Passstraße. Dort wartet schon ein Jeeptaxi. Zack, schon sind unsere Skier auf dem Dach und mit einem Affenzahn geht es die schmale Straße nach oben. Ein paar Mal kommen uns andere Fahrzeuge laut hupend entgegen. Wir sind froh diese heil zu passieren. Kaum sind wir uns einig, dass in Indien Autofahren gefährlicher ist als Skifahren, stehen wir schon in einem Stau. Zwei entgegenkommende Fahrzeuge sind aneinandergeprallt. Der Fahrer eines Kleinwagens hat nicht eingesehen, dass ein größeres Fahrzeug grundsätzlich Vorfahrt hat.
„Du drängelst dich vor!“ keift mich ein amerikanischer Skifahrer zornig an. Vor Aufregung vergaß ich meine Skistöcke in der Gondelhalterung. Somit drehten diese eine Ehrenrunde über die Talstation. Ich bin froh sie wieder zu haben, muss aber nun zurück zu den Freunden, die schon am Gondeleingang warten. Jeder sitzt auf Kohlen. Heute ist der erste wolkenlose Tag und wir sind endlich auf dem Weg zur Bergstation. Am Gipfel des Apharwat eröffnet sich ein herrlicher Rundblick. Der doppelt so hohe Nanga Parbat ist wie bei Achttausender üblich, mit einer Wolkenfahne behängt. Resultat so genannter Jetstreams. Weiße Berge, so weit das Auge reicht. Keine menschlichen Werke zernarben die Natur.
Wir sind die ersten, die den jungfräulichen Hang beackern. Nur noch hintergründig nehme ich die Landschaft wahr. Mit voller Geschwindigkeit stemme ich mich in die Kurven. Drücke mich in die Kompression und lasse mich wieder auf die andere Seite kippen. Leichte Bodenwellen werden geschluckt, die Stöcke streifen den Schnee. Die flache Sonne im Rücken, überholen mich kurz die Schatten der Schneefontänen, welche von meinen Skiern aufgewirbelt werden. Oberschenkel brennen, die Lungen gieren nach Luft. Die Mittelstation taucht zitternd vor der Skibrille auf. Keine Pause. Der Obstgarten saust vorbei. Eine letzte Gerade und schon stehe ich nach Luft japsent dort. Thomas resümiert: „Das war wie Heliskiing, nur mit Lift!“
Nach ein paar weiteren Runs hat unser Guide noch einen Trumpf im Ärmel:Zweitausendfünfhundert Höhenmeter Abfahrt, triumphiert er. Von der Bergstation queren wir weiter als bisher, Richtung Osten. Dann geht es ewig bergab. Im lichten Wald ist noch lange nicht Schluss. Dort, wo wir befürchten uns durch Pappschnee zu wühlen, hält sich im Schatten feinster Pulver, der kurze, steile Turns erlaubt. Am Talschluss müssen wir ein paar hundert Meter skaten. Schnell erreichen wir die ersten Hütten von Drang, welches tiefer als Gulmarg liegt. Kurz nach einer Brücke wartet schon ein Jeep. Unsere gute Seele, hatte ihn unterwegs mit dem Handy geordert. Sein Repertoire geht noch weiter. Da er weiß, das Stefan und ich alte Kaffeetanten sind, und dieser in Indien eher schwer zu finden ist, führt er uns in eine gemütliche Bar in Tangmarg. Klar: italienischer Capuccino ist es nicht gerade. Aber immerhin. Durchs Fenster beobachten wir neu ankommende Skifreaks. Die werden noch ein paar schöne Pulvertage im März haben, erklärt Mahmood. Doch der Firn wird siegen, um dann endgültig kaschmirschen Frühling zu weichen. Welcher übrigens wundervoll sein soll. Gulmarg heißt schließlich Blumenwiese. Sollten wir vielleicht verlängern? Gleich bis in den Sommer? Aushalten lies es sich.
Info:
Saison: Januar/ Februar. Insgesamt 2 Wochen einplanen.
Flug mit Türkisch Airlines: Preis: € 600,– bis € 800,–
Umsteigen in Istanbul und New Delhi. Dann nach Srinagar. Von dort mit Taxi (€ 15,–) nach Gulmarg. (Van oder Kleinbus) Dauer bis 2 Tage, je nach Verbindung
Visum: 2 Wochen vorher beantragen. Kosten: € 50,– Wenn Ihr selber hingeht, auch kürzer.
Impfungen: nicht unbedingt nötig, da winterliche Verhältnisse.
Hotel, Ausrüstung, Verleih (hat auch fette Latten) Transfer, Mädchen für alles: Yassin von Kashmir Alpine
Guide: Mahmood Ahmoa Lone www.gulmargpowderguides.com
Lift: Tageskarte: € 16,– Höchster Punkt mit Gondel: Mt. Apharwat 3950 MeterHeliskiing: geplant!
Essen: Menü € 5,–
Supermarkt nicht nötig. Kleine Stände mit Obst oder Brot. Ansonsten gibt es massenhaft günstige Restaurants. Auch an der Mittelstation. Schokoriegel beim Bauchladenverkäufer. Trinkwasser: waren wir uns nie so recht sicher. Haben abgekochtes Wasser und vor allem Tee getrunken. Bier (Kingfisher) nicht schlecht, aber teuer (€ 4,– im Lokal). Wein gab es gar nicht. Im Highland Park Hotel gibtá Brandy auch teuer, eher Vodka.
Teuerstes Hotel: Highland Park. € 100,–
Währung: Indische Rupien. Dollars sind gut zu wechseln. Bedingt auch Euro. Kreditkarte schwierig. Kein Bankomat in Gulmarg. Nur lokales Handy möglich ( Prepaidcard möglich).
Internet im Highland Park oder Pine Hotel.
Sprache: mit Englisch geht es recht gut.
copyright Franz Faltermaier